Zu den häufigsten im Straßenverkehr verübten Ordnungswidrigkeiten zu denen ein Rechtsanwalt im Verkehrsrecht beauftragt wird, gehört die Geschwindigkeitsüberschreitung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit. Grundsätzlich besteht bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung keine generelle Verpflichtung der Verfolgungsbehörde, die konkrete Verkehrsordnungswidrigkeit zu verfolgen und zu ahnden. Die Polizei schreitet nach pflichtgemäßem Ermessen ein. Dieses sogenannte „Opportunitätsprinzip“ ergibt sich aus § 47 OWiG.
Geschwindigkeitskontrollen müssen nur dort durchgeführt werden, wo es die Verkehrssicherheit und die Verkehrsdisziplin erforderlich machen (OLG Stgt. 01.06.1990 Az. 3 Ss 265/90). Die Verwaltungsbehörde kann von einer Verfolgung Abstand nehmen, wenn z.B. die Sachlage unklar ist, keine Gefährdung bei der Geschwindigkeitsüberschreitung gegeben ist oder nur ein geringfügiger Verstoß vorliegt (BVerfG 04.06.1987 Az. 1 BvR 620/87). Wenn ein solcher Fall vorliegt und gegen den Bußgeldbescheid durch den Betroffenen oder einen Rechtsanwalt Einspruch eingelegt wurde, verliert der Bußgeldbescheid seine Wirkung (BayObLG 09.04.1999 Az. 2 ObOWi 138/99). Wir wollen nachfolgend als Rechtsanwälte für Verkehrsrecht erläutern, welche Fehler bei einem Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung auftreten können.
1. Täteridentifizierung bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung
Die Identifizierung des Fahrers bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung erfolgt zumeist durch Vergleich mit einem bei der Geschwindigkeitsmessung aufgenommenen Foto. Ohne das Frontfoto gesehen zu haben, sollte man keine Einlassung abgeben. Das Frontfoto befindet sich in der Verfahrensakte der Bußgeldbehörde. Die Akteneinsicht ist nur durch einen Rechtsanwalt möglich. Oftmals führen Schatten auf dem Gesicht oder verdeckte Gesichtspartien dazu, dass das Foto zur Täteridentifizierung nicht geeignet ist.
Wenn Angehörige, Nachbarn oder Berufskollegen von Polizeibeamten über das Frontfoto befragt werden sind diese nicht aussagepflichtig.
Polizeibeamte nutzen für die Fahreridentifizierung bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung oft die Passunterlagen der zuständigen Behörde. Dies ist zwar erst dann zulässig, wenn die Polizei zuvor auf anderem Wege versucht hat die Identität zu klären (BayObLG 20.02.1998 Az. 2 ObOWi 727/97) oder der Betroffene nach dem Vorfall sein Aussehen verändert hat (BayObLG 20.02.1998 Az. 2 ObOWi 727/97). Werden solche Datenschutzbestimmungen aber verletzt, führt dies jedoch nicht zu einem Beweisverwertungsverbot (OLG Stgt 26.08.2002 Az. 1 Ss 230/2002).
Im Zweifel kann die Identifizierung des Fahrers auch durch ein morphologisches Gutachten erfolgen. Hierbei erfolgt die Identifizierung anhand „unveränderbarer Merkmale“ wie den Ohren, den Fingern oder den Händen.
Üblicherweise erhält zunächst der Fahrzeughalter einen Anhörungsbogen im Bußgeldverfahren. Ein Rückschluss darauf, dass der Fahrzeughalter mit dem Fahrzeugführer als Täter identisch ist, ist aber nur dann zulässig, wenn äußerst gewichtige Indizien dafür vorliegen. Ein solcher Rückschluss ist auch dann unzulässig, wenn sich kein Hinweis auf einen anderen Fahrer ergibt (OLG D.-dorf 09.09.2002 Az. 2b Ss 162/02) oder der Fahrzeughalter den Fahrer nicht angibt (EGMR 18.03.2010 Az. 13201/05).
Hat die Verwaltungsbehörde einen Bußgeldbescheid wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung erlassen, obwohl eine Identifizierung des Fahrers nicht möglich ist, dann müssen die Kosten eines Rechtsanwalts dem Betroffenen erstattet werden, wenn später aus diesem Grund eine Einstellung des Verfahrens erfolgt (AG Erlangen 18.04.1989 Az. 1 OWi 66/89).
2. Anhörung vor Erlass des Bußgeldbescheides
Vor Erlass des eigentlichen Bußgeldbescheides ist dem Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, sich zu dem Vorwurf der Geschwindigkeitsüberschreitung zu äußern. Dies geschieht durch den Versand eines Anhörungsbogens. Eine Verpflichtung eine Stellungnahme abzugeben besteht aber nicht und grundsätzlich sollte hiervon erst nach erfolgter Akteneinsicht durch einen Rechtsanwalt Gebrauch gemacht werden. Einer Anhörung vor Ort muss eine Belehrung über das Schweigerecht vorangehen, da die Aussagen ansonsten nicht verwertet werden dürfen (BGH 27.02.1992, Az. 5 StR 190/91). Hiervon sind aber spontane Aussagen oder Aussagen, die im Wissen um das Schweigerecht ohne Belehrung gemacht werden, ausgenommen. Solche spontanen Äußerungen sind immer verwertungsgeeignet.
3. Geschwindigkeitsmessung
a) Die Geschwindigkeitsmessung darf als hoheitliche Aufgabe nur von den Verwaltungsbehörden durchgeführt werden und darf nicht auf in eigener Regie tätigen privaten Personen übertragen werden. Es muss also bei einer Geschwindigkeitsmessung immer ein Beamter oder Angestellter der kommunalen Ordnungsbehörde teilnehmen, der von seinen Kenntnissen her in der Lage ist, die Geschwindigkeitsmessung durchzuführen und ggf. leitend einzugreifen (BayObLG 29.09.2004 Az. 1 ObOWi 390/04).
b) Der Messbeamte muss sich bei der Geschwindigkeitsmessung an bestimmte Vorgaben halten, damit die Messung verwertbar ist. So soll der Abstand zwischen der Messstelle und dem Verkehrszeichen, sofern kein Unfallgefahrenpunkt (z.B. Schule) vorliegt, 150 Meter betragen (OLG DD 27.08.2009 Az. Ss (OWi) 410/09). Eine schon 50 Meter nach dem Verkehrsschild mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung gemessene Geschwindigkeitsüberschreitung, stellt i.d.R. eine geringere Verkehrsordnungswidrigkeit dar und kann eine Ausnahme vom Regelfahrverbot begründen (BayObLG 17.08.1995 Az. 1 ObOWi 272/95). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn zuvor die Geschwindigkeit durch Verkehrsschilder stufenweise herabgesetzt worden war (OLG Oldg. 03.02.1995 Az. Ss 1/95). Eine Messung kurz vor dem Ende einer Geschwindigkeitsbegrenzung ist zulässig (OLG Stgt, NJZ 2012, 96).
Bei den Geschwindigkeitsmessgeräten sind Gerätefehlertoleranzen festgelegt, die zu beachten sind. Ebenso sind Geschwindigkeitstoleranzen zu beachten. So sind z.B. Geschwindigkeitsüberschreitungen innerorts bis zu 5 km/h und auf Autobahnen bis zu 20 km/h, unbeachtlich.
c) Die eigentliche Ermittlung der Geschwindigkeit darf nur nach standardisierten Verfahren erfolgen. Eine Schätzung der Geschwindigkeit zulasten des Betroffenen ist unzulässig (OLG D.-dorf 28.12.1992 Az. 2 Ss (OWi) 345/92). Einer solchen Schätzung kann nur ausnahmsweise ein Beweiswert zugesprochen werden, wenn z. B. der entsprechende Beamte in der Verkehrsüberwachung besonders erfahren ist (OLG KA 19.06.2008 Az. 1 Ss 25/08).
Allenfalls kann dem Fahrer zur Last gelegt werden, wesentlich schneller als die erlaubte Schrittgeschwindigkeit gefahren zu sein (BayObLG 20.10.2000 Az. 2 ObOWi 500/00).
4. Geschwindigkeitsmessgeräte und Messfehler
In der Regel erfolgt die Ermittlung der gefahrenen Geschwindigkeit unter Zuhilfenahme von geeichten Messgeräten. Im Folgenden sollen drei Geschwindigkeitsmessgeräte, deren Funktionsweise und bekannte Fehler der Messgeräte dargestellt werden. Ob allerdings eine Fehlmessung durch ein Geschwindigkeitsmessgerät vorliegt, läßt sich regelmäßig erst durch eine Akteneinsicht und die Einsichtnahme in die Dokumentationsunterlagen des Messgerätes durch einen Rechtsanwalt, einschätzen.
a) Radarmessgerät Traffipax-SpeedoPhot
Das Traffipax-SpeedoPhot ist ein Radarmessgerät. Radarmessungen sind grundsätzlich anerkannt und arbeiten im Allgemeinen zuverlässig. Das Messgerät sendet elektromagnetische Wellen aus. Wenn diese auf ein Hindernis treffen, verändert sich die Frequenz der Welle. Anhand dieser Veränderung kann das Gerät die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit ermitteln. Mit dem Traffipax-SpeedoPhot kann sowohl der ankommende als auch der abfließende Verkehr gemessen werden.
Um eine ordnungsgemäße Messung einer Geschwindigkeitsüberschreitung zu gewährleisten, muss das zu messende Fahrzeug in einem Winkel von 20° durch den Radarraum fahren. Dies wird z.B. dadurch gewährleistet, dass die Messanlage parallel zum Bordstein aufgestellt wird. Bei einem zu geringen Winkel wird eine zu hohe Geschwindigkeit ermittelt. Außerdem können die Radarstrahlen reflektiert werden, was zu Geschwindigkeitsfehlzuordnungen führen kann. Deshalb dürfen Radargeräte nur in ausreichend großen Abständen zu parkenden Fahrzeugen oder großen metallenen Flächen positioniert werden. Speziell im Fall des Traffipax SpeedoPhot ist ein Temperaturfehler bekannt, durch den der Kalibrationsoszillator in der Antenne selbstständig aktiviert werden kann. Dadurch kann es zu Messfotos kommen, die nicht durch ein Fahrzeug ausgelöst werden. Falls sich im Zeitpunkt der Fotoauslösung durch den Kalibrationsoszillator zufällig ein Fahrzeug mit korrekter Geschwindigkeit in Fotoposition befindet, führt dieser Fehler dazu, dass dem Fahrzeug eine falsche Geschwindigkeit zugeordnet werden könnte.
b) Einseitensensormessgerät ESO ES 3.0
Das ESO ES 3.0 verfügt über insgesamt fünf Sensoren. Hiervon dienen drei der Geschwindigkeitsmessung und zwei Sensoren der Abstandsmessung. Die Sensoren reagieren dabei auf eine Veränderung der Helligkeit. Aus der zeitlichen Differenz zwischen der Auslösung der Sensoren, wird die gefahrene Geschwindigkeit ermittelt. Genauere Angaben zur Funktionsweise werden vom Hersteller des Gerätes verweigert.
Fehlmessungen können bei dem ESO ES 3.0 nur dann ausgeschlossen werden, wenn sämtliche Fahrbahnteile (z.B. auch der Fahrbahnstreifen) auf dem Messfoto abgebildet sind. Andernfalls besteht z.B. die Gefahr, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung einem anderen Fahrzeug (z.B. einem Motorrad) zugeordnet wird (AG Zerbst 17.05.2010 Az. 8 OWi 467/10). Für eine Verwertbarkeit der Messdaten der Geschwindigkeitsüberschreitung ist es bei diesem Messgerät erforderlich, dass die Fahrbahnneigung mittels Neigungswaage auf das Gerät übertragen wird und zudem die Fotolinie dokumentiert wird. Außerdem ist es bei diesem Messgerät möglich, dass trotz neuer Software Fehlmessungen bei kantigen Fahrzeugen (Geländewagen) und auf bzw. nach Brücken auftreten.
Nun hat ein Amtsgericht nach einer umfangreichen Beweisaufnahme nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung entschieden, dass die Messung mit dem ESO ES 3.0 kein standardisiertes Messverfahren darstellt.
Eine sichere Beweisführung sei mit der Messung innerhalb eines Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahrens nicht möglich. Das ESO ES 3.0 habe bauartbedingte Fehlerquellen, durch die gleiche Messergebnisse unter gleichen Bedingungen nicht gewährleistet werden können. Da das Messgerät nicht dazu in der Lage ist fahrzeugfremde Helligkeitsveränderungen von solchen, welche durch Fahrzeugteile ausgelöst wurden zu unterscheiden, kann nie sicher festgestellt werden, dass die Messung tatsächlich von einem Fahrzeug ausgelöst wurde. Zudem ist eine Überprüfung der Messwerte anhand der Originalmessdaten unabdingbar. Jedoch hält der Hersteller die Originalmessdaten unter Verschluss und bietet nur eine Online-Auswertungsmöglichkeit an, welche allerdings manipulationsanfällig ist. Aus diesen Gründen könne das Messergebnis des ESO ES 3.0 nicht als Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens gelten (AG Meißen 29.05.2015, Az. 13 OWi 703 Js 21114/14). Ob sich andere Gerichte dieser Ansicht anschließen, bleibt abzuwarten.
c) Lasermessgerät LEIVTEC XV2
Das LEIVTEC XV2 sendet zur Messung einer Geschwindigkeitsüberschreitung einen Laserimpuls aus, der von dem zu messenden Fahrzeug reflektiert wird. Abhängig von der Dauer, die das Licht benötigt um vom Fahrzeug zum Messgerät zurückzukehren, wird die Geschwindigkeit ermittelt.
Die eigentliche Messung beginnt erst mit dem Eintritt des Fahrzeuges in das sogenannte Messfenster in einer Entfernung zwischen 50 und 43 Meter vom Messgerät und endet, wenn sich das Fahrzeug bis auf 10 Meter an das LEIVTEC XV2 genähert hat. Eine korrekte Messung der Geschwingkeitsüberschreitung ist hier nur dann gewährleistet, wenn der Laserstrahl auf eine glatte Fläche (Nummernschild o.ä.) trifft. Außerdem kann es vorkommen, dass sich der Laserstrahl um bis zu 70 cm von seinem anvisierten Ziel entfernt und dabei ein anderes Fahrzeug trifft.
5. Kenntnis von der vorgeschriebenen Geschwindigkeit
Die Geschwindigkeit wird üblicherweise durch Verkehrszeichen beschränkt. Damit der Führer eines Kraftfahrzeuges für eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Rechenschaft gezogen werden kann ist es erforderlich, dass dieser auch Gelegenheit hatte, von der Einschränkung der Geschwindigkeit Kenntnis zu nehmen.
So ist beispielsweise eine Ahndung einer Geschwindigkeitsüberschreitung nicht möglich, wenn das Verkehrsschild, mit dem die Geschwindigkeit eingeschränkt wird, durch Zweige oder Blätter verdeckt war und deshalb nicht erkannt werden konnte (OLG Stgt, VRS 95, 137).
6. Rechtsfolgen der Geschwindigkeitsüberschreitung
Eine Geschwindigkeitsüberschreitung zieht ein Bußgeld, Punkte im Fahreignungsregister und ggf. ein Fahrverbot nach sich. Die Höhe des Bußgeldes, die Länge des Fahrverbotes und die Anzahl der Punkte bestimmen sich nach der Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung und ob diese innerhalb oder außerhalb einer Ortschaft gemessen wurde. Hat ein Betroffener Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bußgeldbescheides, sollte durch den Betroffenen selbst oder durch einen beauftragten Rechtsanwalt gegen den Bußgeldbescheid innerhalb von zwei Wochen Einspruch eingelegt werden.