Im Arbeitsrecht rechtfertigen nicht nur erwiesene Arbeitsvertragsverletzungen oder strafbare Handlungen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses (Tatkündigung), sondern es reicht auch der bloße schwerwiegende Verdacht, um eine Verdachtskündigung zu erklären.
Den Kündigungsgrund bildet hier der dringende Verdacht, der nicht erwiesen sein muss, aber der das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen so zerstört, dass eine Weiterführung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist. Da sich der schwerwiegende Verdacht auf eine schwere Pflichtverletzung im Arbeitsverhältnis bezieht, handelt es sich bei der Verdachtskündigung um eine verhaltensbedingte Kündigung, wie bei der Tatkündigung. Die Verdachtskündigung ist daher durch einen Rechtsanwalt für Arbeitsrecht nach denselben Voraussetzungen zu prüfen, die auch für eine verhaltensbedingte Kündigung gelten.
1. Dringender Verdacht einer Pflichtverletzung
Der Rechtsanwalt prüft zunächst, ob der Arbeitgeber einen dringenden Verdacht gegenüber dem Arbeitnehmer hat. Dieser Verdacht muss sich auf eine Pflichtverletzung im Arbeitsrecht beziehen, die so schwerwiegend ist, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch den Vertrauensverlust unmöglich wird, oder aber eine unerträgliche Belastung des Arbeitsverhältnisses darstellt (BAG 25.11.2010, Az. 2 AZR 801/09). Dabei ist es unerheblich, ob der Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung wirklich begangen hat. Der dringende Verdacht reicht für eine fristlose Verdachtskündigung aus.
a) Dringender objektiver Tatverdacht
Dringend ist der Verdacht, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit einer Pflichtverletzung des Arbeitnehmers im Arbeitsrecht besteht. Dieser Verdacht muss schon fast erdrückend sein. Es reicht also noch keine Vermutung aus, sondern der Verdacht muss sich aus objektiven Tatsachen ergeben. Das ist der Fall, wenn z. B. Waren oder Geld verschwinden, auf die nur ein einziger Arbeitnehmer Zugriff hat. Es ist dann nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber durch Zeugen beweisen kann, die den Diebstahl gesehen haben, wer den Diebstahl begangen hat.
Ausreichend ist schon der dringende Verdacht, da nur dieser Arbeitnehmer Zugriff hatte und es somit nahezu ausgeschlossen ist, dass ein Anderer die Tat begangen haben könnte. Dagegen ist es für eine Verdachtskündigung nicht ausreichend, wenn der Arbeitgeber einen Verdacht gegenüber drei Arbeitnehmern hat, von denen aber nur Einer einen Diebstahl begangen haben muss und der Arbeitgeber deshalb allen drei Arbeitnehmern eine Verdachtskündigung ausspricht. Der Verdacht ist hier nicht erdrückend und nicht konkretisiert. Die Verdachtskündigung gegen die drei Arbeitnehmer ist unwirksam (BAG 06.09.2007, Az. 2 AZR 722/06).
Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren können den Verdacht verstärken, dass der Arbeitnehmer eine Pflichtverletzung begangen hat. Der Erlass eines Haftbefehls ist aber noch keine Tatsache, die den Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung begründet. Ebensowenig entfallen durch die Aufhebung eines Haftbefehls Umstände, die den dringenden Tatverdacht begründen (BAG 24.05.2012 Az. 2 AZR 206/11).
b) Schwerwiegende Pflichtverletzung im Arbeitsrecht
aa) Es muss sich bei dem Verdacht um eine schwere Pflichtverletzung im Arbeitsrecht handeln. Auch wenn die Verdachtskündigung nur als ordentliche Kündigung ausgesprochen wird, müssen die Tatsachen, lägen sie tatsächlich vor, eine fristlose Kündigung rechtfertigen (BAG 21.11.2013 Az. 2 AZR 797/11).
bb) Der dringende Verdacht muss sich auf das Arbeitsverhältnis beziehen. Wenn ein Arbeitnehmer z. B. außerdienstlich sein Handy am Steuer während einer Autofahrt nutzt und dafür einen Bußgeldbescheid erhält, so rechtfertigt das noch keine Sanktion im Arbeitsrecht. Diese Ordnungswidrigkeit liegt außerhalb der Sphäre des Arbeitsverhältnisses und hat zu diesem keinen Bezug.
Anders kann es jedoch sein, wenn das außerdienstliche Verhalten Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit im Arbeitsverhältnis zulässt. So wurden während einer staatsanwaltlichen Ermittlung auf einem privaten PC eines Kindergärtners 60 pornografische Darstellungen von Kindesmissbrauch gefunden, die aus dem Internet heruntergeladen wurden. Das Arbeitsgericht bejahte hier eine Verdachtskündigung, da die im Privatbereich begangene Straftat indirekt mit dem Arbeitsverhältnis des Klägers zu tun hatte.
2. Anhörung des Arbeitnehmers zur Verdachtskündigung
Die verhaltensbedingte Verdachtskündigung muss das letzte Mittel sein. Mildere Mittel, wie z.B. eine Abmahnung, dürfen keinen Erfolg versprechen. Vor Ausspruch der Verdachtskündigung muss deshalb der Arbeitgeber alles für ihn Zumutbare unternommen haben, um den Sachverhalt aufzuklären. Hierzu gehört auch, dass dem Arbeitnehmer die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt hat (BAG 29.11.2007, Az. 2 AZR 725/06).
Der mit der Sache beauftragte Rechtsanwalt hat festzustellen, ob eine Anhörung vorliegt, denn diese ist Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Verdachtskündigung im Arbeitsrecht.
Der Sinn der Anhörung vor Ausspruch der Verdachtskündigung ist es, dass dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eingeräumt wird, sich zu dem dringenden Verdacht zu äußern und diesen ggf. zu entkräften, wenn er Entlastungstatsachen anführen kann.
Eine besondere Form ist nicht für die Anhörung vorgesehen. Ausreichend ist es auch, wenn der Arbeitnehmer schriftlich aufgefordert wird, sich innerhalb einer bestimmten Frist zu dem Sachverhalt zu äußern.
Bei der Anhörung vor Ausspruch der Verdachtskündigung muss der Arbeitgeber den Betroffenen mit einem greifbaren Sachverhalt konfrontieren. Dabei darf er seine erlangten Erkenntnisse nicht vorenthalten, sondern muss diese mitteilen. Der Arbeitnehmer soll hierdurch in die Lage versetzt werden, bestimmte zeitlich und räumlich eingrenzbare Tatsachen zu entkräften und sich zu diesen zu äußern. Die Anhörung muss unter solchen äußeren Bedingungen erfolgen, dass dem Arbeitnehmer eine Einlassung zumutbar ist. Dabei muss der Verdacht zumindest soweit konkretisiert werden, dass sich der Arbeitnehmer hierauf substantiiert einlassen kann. Bei komplexen Sachverhalten, zu denen der Arbeitnehmer ohne Vorbereitung nicht substantiiert Stellung nehmen kann, ist genügend Zeit für eine Stellungnahme einzuräumen und dem Arbeitnehmer etwaige erforderliche Unterlagen vorzulegen. Er kann zu der Anhörung einen Anwalt hinzuzuziehen.
Der Arbeitnehmer hat das Recht, sich nicht zu dem dringenden Verdacht zu äußern und muss auch nicht an der Anhörung teilzunehmen. Hat er seinen endgültigen Willen geäußert, dass er nicht an der Anhörung teilnehmen wird und sich auch zu dem Sachverhalt nicht äußern möchte, dann kann der Arbeitgeber auf eine Anhörung zur Verdachtskündigung verzichten (BAG 13.03.2008, Az. 2 AZR 961/06).
3. Anhörung des Betriebsrates
Von der Anhörung des Arbeitnehmers ist die Anhörung des Betriebsrates zu unterscheiden. Sofern ein Betriebsrat existiert, ist auch dieser vor Ausspruch einer Verdachtskündigung im Arbeitsrecht anzuhören. Der Betriebsrat ist vollständig zu informieren. Dabei müssen alle belastenden und entlastenden Umstände für die Verdachtskündigung dargelegt werden. Eine bewusste unrichtige Information im Anhörungsverfahren kann auch in der Weglassung gegen die Verdachtskündigung sprechender, entlastender Informationen bestehen und führt zur Unwirksamkeit der Verdachtskündigung, wenn die irreführend dargestellten Tatsachen für die Beurteilung des Sachverhaltes wesentlich sind (LAG Hbg. 03.12.2008, Az. 4 Sa 87/08).
Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat zu einer Tatkündigung angehört, dann kann er sich im Arbeitsrechtsstreit nicht darauf berufen, der Arbeitnehmer sei der Tat nur dringend verdächtig (BAG 20.06.2013 Az. 2 AZR 546/12).
4. Kündigungserklärungsfrist
Eine außerordentliche Verdachtskündigung kann im Arbeitsrecht nur innerhalb einer Kündigungserklärungsfrist von 2 Wochen erfolgen. Gemäß § 626 Abs. 2 BGB beginnt die Frist mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Verdachtskündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Auch die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist ist durch den Arbeitgeber oder seinen Rechtsanwalt zu beachten.
a) Fristbeginn
Die bloße Vermutung einer Pflichtverletzung im Arbeitsrecht ist für den Fristbeginn nicht ausreichend. Der Arbeitgeber soll die Möglichkeit haben, sich ein umfassendes Bild über den Sachverhalt zu machen. Er kann also durchaus Ermittlungen anstellen, um den Sachverhalt aufzuklären, ehe die Kündigungserklärungsfrist in Lauf gesetzt wird.
Die Frist beginnt auch erst, wenn der Kündigungsberechtigte von den Kündigungstatsachen Kenntnis erhält. Bei juristischen Personen ist das der gesetzliche Vertreter, also der Vorstand oder der Geschäftsführer. Die Berechtigung zur Kündigung kann sich aber auch aus der Stellung im Unternehmen ergeben, wie es bei Personalleitern der Fall ist. Nicht ausreichend ist es jedoch, wenn lediglich Arbeitskollegen Kenntnis vom Kündigungsgrund haben, da diese nicht zur Kündigung berechtigt sind. In diesem Fall würde die Kündigungserklärungsfrist also nicht beginnen.
Innerhalb der Kündigungserklärungsfrist muss aber dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eingeräumt werden, sich zur beabsichtigten Verdachtskündigung zu äußern (Anhörung) und sofern ein Betriebsrat vorhanden ist, muss auch die Betriebsratsanhörung innerhalb der Frist erfolgen.
b) Hemmung der Frist
Ein Hemmen der Frist ist unter Umständen möglich. So kann eine Krankheit des Arbeitnehmers den Fristbeginn verschieben, da es auf seine Anhörung für den weiteren Werdegang ankommt. Jedoch muss auch hier durch den Rechtsanwalt geprüft werden, ob die Krankheit so gravierend ist, dass er sich nicht zu dem Sachverhalt äußern kann. Auch ein Urlaub des Arbeitnehmers kann zu einer Hemmung der Frist führen, wenn er in dieser Zeit nicht erreichbar ist und deshalb keine Anhörung zur Verdachtskündigung stattfinden kann.
5. Tatverdacht bis zum Schluss des Arbeitsrechtsstreits nicht ausgeräumt
Hat der Arbeitgeber seine Kündigung lediglich mit dem dringenden Verdacht einer Pflichtverletzung begründet, ist das Arbeitsgericht dennoch nicht daran gehindert, die Pflichtverletzung auf Grund entsprechender Tatsachen als nachgewiesen anzusehen und damit als Tatkündigung zu behandeln (BAG 10.06.2010 Az. 2 AZR 541/09).
Zum Zeitpunkt der Kündigung objektiv vorliegende Entlastungsgründe sind aber auch dann zu Gunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, wenn sie der Arbeitgeber unverschuldet nicht erkennen konnte (BAG 24.05.2012 Az. 2 AZR 206/11).
Der Arbeitgeber bzw. sein Rechtsanwalt kann auch Umstände, die ihm erst nach Kündigungsausspruch bekannt wurden, in den Arbeitsrechtsstreit einführen, wenn sie bei Kündigungszugang schon objektiv vorlagen. Das gilt auch für Umstände, die den Verdacht eines neuen, eigenständigen Kündigungsvorwurfs begründen (BAG 18.06.2015 Az. 2 AZR 256/14).
6. Interessenabwägung
Da die Verdachtskündigung durch den Rechtsanwalt für Arbeitsrecht nach den Grundsätzen der verhaltensbedingten Kündigung zu prüfen ist, hat auch hier eine Interessenabwägung stattzufinden. Die Interessenabwägung erstreckt sich bei der außerordentlichen Verdachtskündigung darauf, das dem Arbeitgeber wegen des dringenden Tatverdachts, ein Abwarten bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zumutbar ist.