Kündigung wegen Krankheit

Anwalt Arbeitsrecht Kündigung Krankheit
Kündigung des Arbeitsvertrages wegen Krankheit

Als Rechtsanwalt für Arbeitsrecht habe ich es oft mit der Kündigung wegen Krankheit als der häufigsten Form der personenbedingten Kündigung im Arbeitsrecht zu tun. Es ist zunächst ein weit verbreiteter Irrtum, eine Kündigung des Arbeitsvertrages wegen einer Krankheit oder während einer Krankheit sei nicht möglich. Dem ist aber nicht so! Vor allem während der Zeit einer Erkrankung darf das Arbeitsverhältnis dennoch gekündigt werden.
Unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung wegen einer Krankheit oder während einer Krankheit möglich ist, wollen wir nachfolgend aus anwaltlicher Sicht erläutern.

1. Krankheit als Kündigungsgrund im Arbeitsrecht

Grundlegende Voraussetzung für den Kündigungsschutz ist zunächst auch hier, dass der Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes eröffnet ist (§ 1 Abs. 1 KSchG), weshalb der Rechtsanwalt im Arbeitsrecht zunächst die dort genannten Voraussetzungen prüfen wird. Die Rechtsprechung bejaht in den folgenden Fällen eine Kündigung wegen Krankheit im Arbeitsrecht:
a) Häufige Kurzerkrankungen (BAG 23.04.2008 Az. 2 AZR 1012/06)
b) Langzeiterkrankung (BAG 30.09.2010 Az. 2 AZR 88/09)
c) krankheitsbedingte Leistungsminderung (BAG 29.01.1997 Az. 2 AZR 9/96)
d) dauernde Arbeitsunfähigkeit (BAG 12.07.2007 Az. 2 AZR 716/06) oder Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit, wenn in den nächsten 24 Monaten nach Zugang der Kündigung nicht mit einer anderen Prognose gerechnet werden kann (BAG 30.09.2010 Az. 2 AZR 88/09).

Regelmäßig wird die Kündigung wegen Krankheit als ordentliche Kündigung in Betracht kommen. Nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, in denen z.B. die ordentliche Kündigung wegen eines Tarifvertrages ausgeschlossen ist, kommt auch eine außerordentliche Kündigung wegen Krankheit in Betracht (BAG 20.03.2014 Az. 2 AZR 288/13).

2. Voraussetzungen der Kündigung des Arbeitsvertrages wegen Krankheit

Da es sich um einen Fall der personenbedingten Kündigung gem. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG handelt, sind die dort erörterten Voraussetzungen auch bei der Kündigung wegen Krankheit durch den Anwalt im Arbeitsrecht zu prüfen.

a) Negative Gesundheitsprognose

Zunächst ist durch den Rechtsanwalt eine negative Gesundheitsprognose zu prüfen. Das ist der Fall, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung wegen Krankheit auf Grund objektiver Umstände die ernste Besorgnis besteht, dass es zu weiteren krankheitsbedingten Fehlzeiten kommen wird (BAG 24.11.2005 Az. 2 AZR 514/04). Dabei ist allein auf den Kündigungszeitpunkt abzustellen. Die spätere Entwicklung der Krankheit spielt für die einmal festgestellte Prognose keine Rolle.
Bei den festzustellenden objektiven Umständen muss es sich um eine nach medizinischen Grundsätzen begründete Prognose handeln. Festzustellen sind dabei die Art, Dauer und Häufigkeit der bisherigen Erkrankungen (BAG 10.03.1977 Az. 2 AZR 79/76).

Für die negative Gesundheitsprognose kommt es im Arbeitsrecht allein auf die Umstände im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung wegen Krankheit an. Ändert also der Arbeitnehmer beispielsweise nach Zugang der Kündigung seine Lebensführung, ändert das gleichwohl nichts an der einmal, bezogen auf den Kündigungszeitpunkt erstellten objektiven Prognose. Auch die Entwicklung neuer Medikamente oder neuer Behandlungsmethoden nach Ausspruch der Kündigung, verändern die Gesundheitsprognose zum Zeitpunkt der Kündigung nicht.

Der Arbeitgeber bzw. sein Rechtsanwalt trägt die Darlegungs- und Beweislast für die negative Gesundheitsprognose. Der Anwalt des Arbeitnehmers hat sodann darzulegen, weshalb mit seiner baldigen Genesung zu rechnen ist. Hierzu wird es regelmäßig zweckmäßig sein, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Der Arbeitnehmeranwalt muss aber nicht den Gegenbeweis führen, dass mit weiteren Erkrankungen nicht zu rechnen ist (BAG 12.04.2002 Az. 2 AZR 148/01).

aa) Prognose bei häufigen Kurzerkrankungen

Wann bei häufigen Kurzerkrankungen ausreichende Fehlzeiträume vorliegen, um eine negative Gesundheitsprognose zu erstellen, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Als Faustregel lässt sich jedoch merken, dass der Arbeitnehmer häufig und insgesamt mehr als 6 Wochen jährlich über einen Zeitraum der letzten 3 Jahre arbeitsunfähig gewesen sein muss. Ein kürzerer Beobachtungszeitraum würde aber für eine Kündigung des Arbeitsvertrages wegen Krankheit genügen, wenn im Arbeitsverhältnis von Anfang an krankheitsbedingte Fehlzeiten aufgetreten sind (BAG 19.05.1993 Az. 2 AZR 598/92).
Da eine Wiederholungsgefahr für die Krankheiten bestehen muss, indizieren die häufigen Kurzerkrankungen in der Vergangenheit nur dann eine negative Gesundheitsprognose für die Zukunft, wenn diese noch nicht ausgeheilt sind. Dem Arbeitgeber ist es jedoch auch möglich, sich auf eine allgemein erhöhte Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers zu berufen, welche andauern wird (BAG 10.11.2005 Az. 2 AZR 44/05).

bb) Prognose bei Langzeiterkrankung

In diesem Fall muss der Arbeitnehmer mehr als 6 Wochen am Stück arbeitsunfähig erkrankt sein. Eine lang andauernde Arbeitsunfähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit stellt ein Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft dar. Der Rechtsanwalt genügt hier zunächst seiner Darlegungslast im Arbeitsrechtsstreit, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung und die ihm bekannten Krankheitsursachen vorträgt (BAG 13.05.2015 Az. 2 AZR 565/14).

cc) Prognose bei dauernder Arbeitsunfähigkeit

Die völlige Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht einer dauernden Arbeitsunfähigkeit gleich. Das ist der Fall, wenn in den nächsten 24 Monaten nicht mit einer Genesung gerechnet werden kann, was im Arbeitsrechtsstreit durch den Arbeitgeber oder den Anwalt darzulegen ist (BAG 12.07.2007 Az. 2 AZR 716/06).

b) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher oder wirtschaftlicher Interessen

Als weitere Voraussetzung ist durch den Rechtsanwalt im Arbeitsrecht zu prüfen, ob die entstandenen und voraussichtlich in Zukunft entstehenden Fehlzeiten durch Krankheit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers führen (BAG 10.12.2009 Az. 2 AZR 400/08). Nur dann ist eine Kündigung des Arbeitsvertrages wegen Krankheit möglich.
Der Arbeitgeber ist aber gehalten, zumutbare Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen. So kann es ihm zur Vermeidung von Betriebsablaufstörungen zumutbar sein, eine vorgehaltene Personalreserve einzusetzen oder Überstunden anzuordnen (BAG 02.11.1989 Az. 2 AZR 23/89).

aa) Beeinträchtigung bei häufigen Kurzerkrankungen

(1) Hier werden betriebliche Interessen durch Störungen im Produktionsprozess, wie Maschinenstillstand beeinträchtigt. Auch ein Produktionsrückgang, etwa weil Ersatzpersonal einzuarbeiten ist oder Arbeitskräfte aus anderen Bereichen abgezogen werden müssen, kann eine Beeinträchtigung sein.
(2) Die wirtschaftlichen Interessen werden durch die Krankheit beeinträchtigt, wenn mit erheblichen Lohnfortzahlungskosten zu rechnen ist. Hierzu muss mindestens die vergangenen zwei Jahre und mindestens für 6 Wochen jährlich, die Entgeltfortzahlung geleistet worden sein (BAG 23.06.1983 Az. 2 AZR 15/82). Es muss auch für die Zukunft damit zu rechnen sein, dass Lohnfortzahlungskosten von mehr als 6 Wochen jährlich anfallen werden (BAG 10.12.2009 Az. 2 AZR 400/08).

bb) Beeinträchtigung bei Langzeiterkrankung

Bei einer lang anhaltenden Krankheit muss die nicht absehbare Dauer der Arbeitsunfähigkeit und die daraus folgende Ungewissheit zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen und wirtschaftlichen Interessen führen (BAG 25.11.1982 Az. 2 AZR 140/81). Das können dieselben Störungen sein, wie sie auch bei Kurzerkrankungen vorkommen.

cc) Beeinträchtigung bei dauernder Arbeitsunfähigkeit

Ist die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit ungewiss oder dauernd unmöglich, ist von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen und eine Kündigung wegen Krankheit ist möglich (BAG 30.09.2010 Az. 2 AZR 88/09). Das ist der Fall, wenn mit der Herstellung der Arbeitsfähigkeit innerhalb der nächsten 24 Monate nicht gerechnet werden kann.

c) Vorrang milderer Mittel

Die Störungen durch Krankheit dürfen nicht durch mildere Mittel, wie der Einstellung von Aushilfskräften oder der Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz behebbar sein (BAG 10.06.2010 Az. 2 AZR 1020/08).
Eine Versetzung oder eine Umschulung kommt aber nur in Betracht, wenn die Arbeitsunfähigkeit eine arbeitsplatzbezogene Ursache hat (BAG 19.04.2007 Az. 2 AZR 239/06). Beruht aber die Arbeitsunfähigkeit auf einer arbeitsplatzbezogenen Ursache, muss der Arbeitgeber nicht nur die Weiterbeschäftigung auf einem freien leidensgerechten Arbeitsplatz anbieten, sondern muss auch einen Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts frei machen.

aa) Häufige Kurzerkrankungen

Hier kommen selten mildere Mittel als eine Kündigung des Arbeitsvertrages wegen Krankheit in Betracht, denn nicht vorhersehbare Kurzerkrankungen verlangen kurzfristig wirkende personelle Maßnahmen.

bb) Langzeiterkrankung

Bei einer lang anhaltenden Krankheit müssen vor Ausspruch der Kündigung des Arbeitsvertrages Überbrückungsmaßnahmen, wie die Einstellung von Aushilfskräften oder Mehrarbeit ergriffen werden, solange sie dem Arbeitgeber möglich und zumutbar sind. Bei langjährig beschäftigten Arbeitnehmern können Überbrückungsmaßnahmen über einen längeren Zeitraum notwendig werden, wozu sogar die unbefristete Einstellung einer Aushilfskraft gehören kann (BAG 25.11.1982 Az. 2 AZR 140/81).

cc) Betriebliches Wiedereingliederungsmanagement (bEM)

Gem. § 167 Abs. 2 SGB IX hat der Arbeitgeber bei einem Arbeitnehmer, der länger als 6 Wochen im Jahr arbeitsunfähig ist, mit der zuständigen Interessenvertretung zu klären, wie die Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt oder eine erneute Arbeitsunfähigkeit verhindert werden kann. Die Verpflichtung besteht unabhängig von der Art und den Ursachen der Erkrankung. Das Verfahren des betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements (bEM) gilt für alle Arbeitnehmer und auch dann, wenn es im Betrieb keine Interessenvertretung (Betriebsrat) gibt (BAG 27.07.2011 Az. 7 AZR 402/10).

(1) Milderes Mittel

Das bEM ist als milderes Mittel vor Ausspruch einer Kündigung wegen einer Krankheit im Arbeitsrecht zu beachten. Mit Hilfe des bEM kann eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien Arbeitsplatz erreicht werden. Deshalb kann ein unterlassenes bEM dazu führen, dass eine Kündigung wegen Krankheit unwirksam ist (Hess. LAG 03.06.2013 Az. 21 Sa 1456/12).
Ist das bEM nur mit Einwilligung des Arbeitnehmers möglich, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordern, die Einwilligung zu erteilen und deutlich darauf hinweisen, dass bei einer Verweigerung der Mitwirkung mit einer Kündigung des Arbeitsvertrages wegen der Krankheit zu rechnen ist. Lehnt der Arbeitnehmer das bEM ab oder bleibt untätig, muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung wegen Krankheit, nicht das bEM als milderes Mittel berücksichtigen (BAG 10.12.2009 Az. 2 AZR 400/08).

(2) Darlegungs- und Beweislast

Der Arbeitgeber muss die Initiative zur Durchführung des bEM ergreifen. Hierzu muss er mit dem Arbeitnehmer klären, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Hat der Arbeitgeber das bEM unterlassen, muss der Rechtsanwalt in einem Arbeitsrechtsstreit umfassend darlegen und beweisen, warum es in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Dabei hat der Anwalt die objektive Nutzlosigkeit arbeitsplatzbezogener Maßnahmen und außerbetrieblicher Therapiemöglichkeiten zum Zeitpunkt der Kündigung vorzutragen. Ebenso ist durch den Rechtsanwalt darzulegen, weshalb auch Rehabilitationsmaßnahmen nicht zu einer Verringerung der krankheitsbedingten Fehlzeiten hätten führen können (BAG 20.11.2014 Az. 2 AZR 755/13).

d) Interessenabwägung

Die umfassende Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien durch den mit der Sache beauftragten Rechtsanwalt muss im Arbeitsrecht ergeben, dass die erheblichen betrieblichen oder wirtschaftlichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers wegen der Krankheit führen.

aa) Dauernde Arbeitsunfähigkeit

Bei einer krankheitsbedingten dauernden Arbeitsunfähigkeit oder bei einer völligen Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsunfähigkeit, ist regelmäßig von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Das gilt selbst dann, wenn die Krankheit des Arbeitnehmers eine arbeitsplatzbezogene Ursache hat (BAG 19.04.2007 Az. 2 AZR 239/06).

bb) Auf Seiten des Arbeitnehmers zu berücksichtigende Interessen

Hier ist vor Ausspruch der Kündigung zu beachten, ob die Krankheit eine arbeitsplatzbezogene Ursache hat und wie lange das Arbeitsverhältnis zunächst ungestört verlaufen ist. Weiterhin sind auch hier die allgemeinen Sozialauswahldaten:
-Dauer der Betriebszugehörigkeit,
-Lebensalter,
-Familienstand und Unterhaltspflichten und
-Schwerbehinderung
zu beachten.

cc) Auf Seiten des Arbeitgebers zu berücksichtigende Interessen

(1) Hier sind vor allem die Lohnfortzahlungskosten des Arbeitgebers im Krankheitsfall zu beachten. Ob dem Arbeitgeber die Belastung mit Lohnfortzahlungskosten noch zumutbar ist, ergibt sich daraus, wie hoch die Ausfallquote von Arbeitnehmern mit vergleichbaren Arbeitsbedingungen ist. Nur bei einer erheblich höheren Ausfallquote des zu kündigenden Arbeitnehmers ist die Belastung dem Arbeitgeber nicht mehr zuzumuten und die Interessenabwägung fällt zu seinen Gunsten aus (BAG 10.05.1990 Az. 2 AZR 580/89).
Die Lohnfortzahlungskosten müssen außergewöhnlich hoch sein, um dem Arbeitgeber die weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers unzumutbar zu machen. Lohnfortzahlungskosten für 60 Arbeitstage jährlich, was einer Verdoppelung des gesetzlichen Lohnfortzahlungszeitraumes von 6 Wochen entspricht, sind außergewöhnlich hoch und machen die Weiterbeschäftigung unzumutbar (BAG 05.07.1990 Az. 2 AZR 154/90).

(2) Weiterhin ist zu berücksichtigen, ob der Arbeitgeber eine Personalreserve hat. Eine fehlende, aber bei geordneter Betriebsführung erforderliche Personalreserve kann sich zu Lasten des Arbeitgebers auswirken. Zu Gunsten des Arbeitgebers kann es sich dagegen auswirken, wenn er eine Personalreserve vorhält, es aber dennoch durch häufige Kurzerkrankungen zu Betriebsbelastungen kommt (BAG 16.02.1989 Az. 2 AZR 299/88). Die übliche Personalreserve richtet sich nach dem durchschnittlichen Krankenstand in einem Betrieb.