Sozialauswahl und Interessenausgleich

Anwalt Sozialauswahl und Interessenausgleich Arbeitsrecht
Sozialauswahl und Interessenausgleich bei der betriebsbedingten Kündigung im Arbeitsrecht

Im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung ist eine Sozialauswahl durchzuführen. Soll die betriebsbedingte Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung (§ 111 BetrVG) erfolgen, besteht zudem die Möglichkeit, dass der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste abschließt. Ist die Sozialauswahl fehlerhaft, bzw. bei einem Interessenausgleich grob fehlerhaft, führt das zur Unwirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung. Welche Voraussetzungen bei der Sozialauswahl und bei einem Interessenausgleich zu berücksichtigen sind, möchte ich deshalb nachfolgend als Fachanwalt für Arbeitsrecht erläutern.

A) Sozialauswahl vor betriebsbedingter Kündigung

Vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung hat der Arbeitgeber eine Sozialauswahl durchzuführen. Hierbei ist als Kündigungsadressat aus den vergleichbaren Arbeitnehmern derjenige auszuwählen, der aufgrund seiner Sozialdaten am wenigsten auf den Arbeitsplatz angewiesen ist.
Für die Feststellung der Sozialwidrigkeit der Kündigung kommt es im Arbeitsrecht auf die Umstände im Zeitpunkt des Zugangs der betriebsbedingten Kündigung an (BAG 21.04.2005 Az. 2 AZR 241/04).
In einem ersten Schritt ist festzustellen, welche Arbeitnehmer in die Sozialauswahl einzubeziehen sind. Sodann sind die Sozialdaten der Arbeitnehmer festzustellen und zu werten. Zuletzt ist zu prüfen, welche Arbeitnehmer wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur unberücksichtigt bleiben.

1. Vergleichbare Arbeitnehmer

Arbeitnehmer, die noch nicht 6 Monate beschäftigt sind, sind nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, da hier noch kein Kündigungsschutz besteht.
In die Sozialauswahl sind auch solche Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren ordentliche Kündigung zu diesem Zeitpunkt gesetzlich ausgeschlossen ist (z. B. Schwerbehinderte oder Mütter im Mutterschutz).

a) Betriebsbezogenheit

Die vergleichbaren Arbeitnehmer sind im Rahmen der Sozialauswahl durch den Arbeitgeber (anders als bei der Prüfung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit) betriebsbezogen zu ermitteln. Hat ein Betrieb mehrere Betriebsstätten oder Filialen, sind diese Arbeitnehmer ebenfalls in die Sozialauswahl einzubeziehen. Auf die räumliche Entfernung kommt es nicht an. Auf andere Betriebe eines Unternehmens oder des Konzerns erstreckt sich die Sozialauswahl nicht.
Soll der Betrieb teilweise sillgelegt und teilweise übertragen werden, sind bei der Kündigung eines Arbeitnehmers des stillzulegenden Betriebsteils auch die Arbeitnehmer des zu übertragenden Betriebsteils in die Sozialauswahl einzubeziehen (BAG 14.03.2013 Az. 8 AZR 154/12).
Im Arbeitsrecht des öffentlichen Dienstes entspricht dem „Betrieb“ die „Dienststelle“.

b) Horizontale Vergleichbarkeit

Sozial vergleichbar sind die Arbeitnehmer, die auf derselben Ebene der Betriebshierarchie ohne Änderung der Arbeitsbedingungen austauschbar sind (horizontale Vergleichbarkeit). Ist die Weiterbeschäftigung nur zu schlechteren Arbeitsbedingungen möglich, liegt keine Austauschbarkeit vor.

c) Arbeitsplatzbezogene Austauschbarkeit

Die Austauschbarkeit richtet sich dabei nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also nach der ausgeübten Tätigkeit. Arbeitnehmer sind dann austauschbar, wenn sie aufgrund der bisherigen Tätigkeit und ihrer beruflichen Qualifikation in der Lage sind andersartige, aber gleichwertige Arbeit eines Kollegen zu verrichten (BAG 10.06.2010 Az. 2 AZR 420/09). Das ist also nicht nur bei identischen Arbeitsplätzen der Fall, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer auf Grund seiner Tätigkeit und Ausbildung die zwar andere, aber gleichwertige Tätigkeit ausüben kann.
Setzt der Arbeitgeber für die gleiche Tätigkeit Arbeitnehmer mit und ohne Berufsabschluss ein, steht ein fehlender Berufsabschluss der Vergleichbarkeit nicht im Wege (BAG 06.07.2006 Az. 2 AZR 442/05).

Eine kurze Einarbeitungszeit steht der Vergleichbarkeit nicht entgegen. Eine Austauschbarkeit ist nicht mehr gegeben, wenn die betriebliche Spezialisierung so hoch ist, dass der Einsatz des zu kündigenden Arbeitnehmers auf dem Platz des Spezialisten auch nach einer längeren Einarbeitungszeit nicht möglich ist. So ist eine Einarbeitungszeit von 3 Monaten zur Aneignung von CAD-Kenntnissen zu lang und steht einer Austauschbarkeit entgegen (BAG 05.05.1994 Az. 2 AZR 917/93).

d) Weisungsrecht und Sozialauswahl

Es fehlt allerdings an einer Vergleichbarkeit, wenn der Arbeitnehmer nicht im Wege des Weisungsrechts auf den anderen Arbeitsplatz versetzt werden kann, sondern hierzu eine Änderung des Arbeitsvertrages notwendig wäre. Kann ein Arbeitnehmer nach dem Arbeitsvertrag nur in einem bestimmten Arbeitsbereich eingesetzt werden, ist bei einem Wegfall des Arbeitsbereiches keine Sozialauswahl mit vergleichbaren Arbeitnehmern anderer Arbeitsbereiche vorzunehmen. Ist z.B. ein Arbeitnehmer für einen bestimmten Betriebsteil eingestellt, beschränkt sich auch seine Beschäftigung auf diesen Betriebsteil. Die Sozialauswahl bleibt für diesen Arbeitnehmer auf den Betriebsteil beschränkt (BAG 03.06.2004 Az. 2 AZR 577/03).

Auch die Lage der Arbeitszeit kann eine Vergleichbarkeit ausschließen. So kann die Beschäftigung im Schichtbetrieb mit Wochenendarbeit einer Vergleichbarkeit eines Arbeitnehmers, der zu allgemeinen Bürozeiten beschäftigt ist, entgegenstehen (BAG 24.05.2005 Az. 8 AZR 333/04).
Im Arbeitsrecht des öffentlichen Dienstes ist eine Versetzung im Wege der Weisung nur innerhalb derselben Vergütungsgruppe möglich. Die Vereinbarung einer Vergütungsgruppe im Arbeitsvertrag führt hier dazu, dass eine Vergleichbarkeit mit Arbeitnehmers anderer Vergütungsgruppen ausgeschlossen ist. Das gilt wiederum nicht für einen Bewährungsaufstieg, da hier die höhere Vergütungsgruppe nicht auf einer anderen Tätigkeit beruht. Der langjährige Einsatz eines Arbeitnehmers kann dazu führen, dass die Zuweisung einer anderen Tätigkeit im Wege der Weisung nicht mehr möglich ist. Eine solche Konkretisierung des Weisungsrechts führt allerdings nicht zu einer Einschränkung der Sozialauswahl (BAG 03.06.2004 Az. 2 AZR 577/03).

e) Versetzungsklausel

Enthält der Arbeitsvertrag eine Versetzungsklausel, wonach der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auch mit anderen Tätigkeiten als der im Arbeitsvertrag vereinbarten beschäftigen darf, wird hierdurch das Weisungsrecht erweitert. Das führt dazu, dass weitere Arbeitnehmer in die Sozialauswahl einzubeziehen sind. In einem vorformulierten Arbeitsvertrag unterliegt eine solche Versetzungsklausel der Inhaltskontrolle. Ist die Versetzungsklausel unwirksam, kann sich der Arbeitgeber, der sich wiederholt auf die Klausel berufen hat, dennoch nicht zu seinen Gunsten auf die Unwirksamkeit der Versetzungsklausel im Rahmen der Sozialauswahl berufen. Es würde gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen, wenn sich der Arbeitgeber als Verwender der Klausel darauf beruft, der Arbeitnehmer dürfe sich nicht zu seinen Gunsten ebenfalls auf die (unwirksame) Klausel berufen (BAG 03.04.2008 Az. 2 AZR 879/06).

f) Teilzeitbeschäftigte

Hat der Arbeitgeber die Organisationsentscheidung getroffen, eine Tätigkeit durch Vollzeitbeschäftigte auszuführen, sind bei der Kündigung einer Teilzeitkraft die Vollzeitbeschäftigten nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen. Liegt eine solche Unternehmerentscheidung nicht vor und will der Arbeitgeber nur Stunden abbauen, sind in die Sozialauswahl alle mit diesen Arbeiten beschäftigten Vollzeit- und Teilzeitkräfte in die Sozialauswahl einzubeziehen (BAG 07.12.2006 Az. 2 AZR 748/05).

2. Gewichtung nach Sozialauswahldaten

Nachdem die vergleichbaren Arbeitnehmer ermittelt wurden, ist in einem zweiten Schritt eine Auswahl durch Gewichtung nach den Sozialkriterien: Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung vorzunehmen.
Dabei steht dem Arbeitgeber bei der Gewichtung der Sozialauswahldaten ein Wertungsspielraum im Arbeitsrecht zu. Danach ist die Sozialauswahl nur dann fehlerhaft und die betriebsbedingte Kündigung unwirksam, wenn der gekündigte Arbeitnehmer deutlich sozial schutzwürdiger ist als ein anderer vergleichbarer Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis fortbesteht (BAG 22.03.2012 Az. 2 AZR 167/11). So ist z. B. ein regelaltersrentenberechtigter Arbeitnehmer bei der Sozialauswahl deutlich weniger schutzwürdig als ein Arbeitnehmer, der noch keine Altersrente beanspruchen kann (BAG 27.04.2017 Az. 2 AZR 67/16).

a) Sozialauswahlkriterien

Der Arbeitgeber ist vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung berechtigt, die Sozialauswahldaten des Arbeitnehmers zu erfragen. Äußert sich der Arbeitnehmer nicht, ist er im Arbeitsrechtsstreit daran gehindert sich auf die nicht mitgeteilten Umstände zu berufen.

aa) Betriebszugehörigkeit

Je länger die Betriebszugehörigkeit eines Arbeitnehmers ist, desto schutzwürdiger ist er im Rahmen der Sozialauswahl. Die Berechnung der Betriebszugehörigkeit erfolgt danach, ob der Arbeitnehmer bei demselben Arbeitgeber beschäftigt war, auch wenn die Beschäftigung in verschiedenen Betrieben erfolgte. Bestand zu dem Arbeitgeber bereits früher ein Beschäftigungsverhältnis, sind diese Zeiten ebenfalls anzurechnen, wenn die Arbeitsverhältnisse in einem engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehen. Auch Zeiten der Berufsausbildung sind anzurechnen, wie auch Beschäftigungszeiten vor einem Betriebsübergang.
Zeiten in denen das Beschäftigungsverhältnis ruhte, zählen ebenso zur Betriebszugehörigkeit, wie eine Elternzeit.

bb) Lebensalter

Grundsätzlich gilt, dass mit steigendem Lebensalter die Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers zunimmt. Die Berücksichtigung des Lebensalters bei der Sozialauswahlt verstößt auch nicht gegen das Diskriminierungsverbot des AGG (BAG 15.12.2011 Az. 2 AZR 42/10). Bei der Berücksichtigung des Lebensalters darf aber auch die Rentennähe eines Arbeitnehmers berücksichtigt werden.

cc) Unterhaltspflichten

Je mehr Unterhaltspflichten ein Arbeitnehmer zu erfüllen hat, desto schutzwürdiger ist er. Es werden nur die gesetzlichen Unterhaltspflichten berücksichtigt (BAG 12.08.2010 Az. 2 AZR 945/08). Unterhaltspflichten bestehen demnach gegenüber ehelichen, unehelichen und adoptierten Kindern, dem Ehepartner, Lebenspartner und geschiedenen Ehegatten und gegenüber den Eltern, soweit diese bedürftig sind. Dabei kommt es im Rahmen der Sozialauswahl nicht allein auf die auf der Lohnsteuerkarte eingetragenen Kinderfreibeträge an. Sind dem Arbeitgeber keine Anhaltspunkte dafür bekannt, dass die Daten der Lohnsteuerkarte unzutreffend sein könnten, darf er auf die dort eingetragenen Angaben vertrauen (BAG 17.01.2008 Az. 2 AZR 405/06).
Da bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften keine gesetzlichen Unterhaltspflichten bestehen, sind diese nicht zu berücksichtigen. Da sich durch eine Doppelverdienerehe die Unterhaltslast mindert, darf dieser Umstand zulasten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden (BAG 29.01.2015 Az. 2 AZR 164/14).

dd) Schwerbehinderung

Im Rahmen der Schwerbehinderung werden nicht nur Menschen mit einem GdB von mindestens 50, sondern auch die ihnen Gleichgestellten geschützt.

b) Wertungsspielraum

Dem Arbeitgeber steht bei der Gewichtung der Sozialdaten ein Wertungsspielraum zu. Nur der deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer kann sich auf eine fehlerhafte Sozialauswahl berufen. Eine um 3 Jahre längere Betriebszugehörigkeit ist z.B. nicht geeignet 3 Unterhaltspflichten aufzuwiegen, wenn der Unterhaltsverpflichtete immerhin auch eine Betriebszugehörigkeit von 6 Jahren aufweist (BAG 29.01.2015 Az. 2 AZR 164/14). Auch eine fehlerhafte Sozialauswahl kann zu einem richtigen Auswahlergebnis führen, wenn sich der Fehler nicht auswirkt.

3. Leistungsträger und ausgewogene Personalstruktur

In einem weiteren Schritt hat der Arbeitgeber die Möglichkeit Arbeitnehmer, die nach den Sozialkriterien an sich nicht schützenswert sind, dennoch weiter zu beschäftigen, wenn die Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Nicht in die Sozialauswahl sind deshalb Arbeitnehmer einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im berechtigten betrieblichen Interesse liegt (§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG).

a) Leistungsträger

Besondere Kenntnisse können sich aus der Ausbildung, dem Studium oder Weiterbildungsmaßnahmen ergeben. Besondere Fähigkeiten können Verkaufstalent, Führungsqualitäten oder soziale Kompetenzen sein. Die Leistungen des Arbeitnehmers ergeben sich aus der Arbeitsleistung und dem Arbeitsergebnis. Ein Arbeitnehmer mit krankheitsbedingten Fehlzeiten ist z.B. weniger leistungsstark.
Je schwerer dabei das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes wiegt, desto gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein (BAG 19.07.2012 Az. 2 AZR 352/11).

b) Ausgewogene Altersstruktur

Aber auch eine Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur (Altersstruktur) kann eine Abweichung von der Sozialauswahl rechtfertigen.

aa) Altersgruppenbildung

Dabei kann die Vornahme der Sozialauswahl nach Altersgruppen erfolgen, wenn das zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur erforderlich ist. Die Altersgruppenbildung und die daraus abgeleiteten Kündigungsentscheidungen müssen zur Sicherung der bestehenden Personalstruktur tatsächlich geeignet sein. Das ist der Fall, wenn die Verteilung der Beschäftigten auf die gebildeten Altersgruppen ihre prozentuale Entsprechung in der Anzahl der in der jeweiligen Altersgruppe zu kündigenden Arbeitsverhältnisse findet. Es müssen zunächst innerhalb des Sozialauswahlkreises
(1) nach sachlichen Kriterien Altersgruppen gebildet und
(2) die prozentuale Verteilung der Belegschaft auf die Altersgruppen festgestellt und
(3) die Gesamtzahl der auszusprechenden Kündigungen diesem Proporz entsprechend auf die einzelnen Altersgruppen verteilt werden.
Die Beteiligung der einzelnen Altersgruppen am Personalabbau hat streng proportional zu erfolgen. Beteiligt der Arbeitgeber die Altersgruppen unterschiedlich stark am Personalabbau, ist die gesamte Sozialauswahl hinfällig und die Kündigungen unwirksam, die über den eigentlich auf die Altersgruppe entfallenden Anteil hinausgehen (BAG 26.03.2015 Az. 2 AZR 478/13).

bb) Berechtigtes betriebliches Interesse

Bei der Bildung von Altersgruppen liegt ein berechtigtes betriebliches Interesse nur vor, wenn die vorgenommene Gruppenbildung tatsächlich geeignet ist, eine ausgewogene Personalstruktur zu sichern. Dazu muss der Arbeitgeber darlegen, welche Nachteile entstanden wären, wenn er die zu kündigenden Arbeitnehmer allein nach den Sozialauswahlkriterien gewählt hätte und weshalb das zu einer Verzerrung der Personalstruktur geführt hätte (BAG 22.03.2012 Az. 2 AZR 167/11). Dazu ist vorzutragen, wie viel Prozent der potenziell zu kündigenden Arbeitnehmer vor Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung der jeweiligen Altersgruppe angehörten und wie die einzelnen Kündigungen auf die Altersgruppen verteilt wurden, damit die bestehende Altersstruktur erhalten bleibt. Es ist jede Altersgruppe proportional bei den Kündigungen heranzuziehen (BAG 20.04.2005 Az. 2 AZR 201/04).

Eine Altersgruppenbildung ist zur Erhaltung der Altersstruktur der Belegschaft nur geeignet, wenn sie dazu führt, dass die bestehende Struktur bewahrt bleibt. Sind mehrere Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer von den Entlassungen betroffen, muss deshalb eine proportionale Berücksichtigung aller Altersgruppen auch innerhalb der jeweiligen Vergleichsgruppen möglich sein (BAG 19.07.2012 Az. 2 AZR 352/11).

4. Auswahlrichtlinien

In einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung kann festgelegt werden, wie die Sozialauswahldaten zu gewichten sind (§ 1 Abs. 4 KSchG). Eine solche Auswahlrichtlinie unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrates (§ 95 BetrVG).
Die Auswahlrichtlinie ist grob fehlerhaft, wenn die Gewichtung der Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung jede Ausgewogenheit vermissen lässt. Das ist der Fall, wenn einzelne Sozialdaten überhaupt nicht, unzureichend oder mit überhöhter Bedeutung berücksichtigt werden. Eine marginale Abweichung von der durch eine Punktetabelle ermittelten Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers, führt noch nicht zu einer groben Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl (BAG 24.10.2013 Az. 6 AZR 854/11). Auch bei einer grob fehlerhafte Auswahlrichtlinie kann aber die konkrete Auswahlentscheidung wirksam sein, wenn der betreffende Arbeitnehmer auch bei einer korrekten Erstellung der Richtlinie gekündigt worden wäre (BAG 05.11.2009 Az. 2 AZR 676/08). Die konkrete Auswahlentscheidung ist also nicht angreifbar, wenn sie sich im Ergebnis nicht auswirkt.

5. Fehlerhafte Sozialauswahl bei der betriebsbedingten Kündigung

Eine fehlerhafte Sozialauswahl führt nur dann zur Unwirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung im Arbeitsrecht, wenn sich der Fehler auch entscheidungserheblich auf die Sozialauswahl auswirkt (BAG 23.11.2000 Az. 2 AZR 533/99). Geht also der Arbeitgeber von falschen Sozialdaten aus, dann kann sich der gekündigte Arbeitnehmer oder sein Rechtsanwalt nur dann im Arbeitsrechtsprozess mit Erfolg auf den Fehler berufen, wenn sich herausstellt, dass er tatsächlich sozial schutzwürdiger war und der andere Arbeitnehmer vor ihm hätte gekündigt werden müssen.
Selbst wenn der Arbeitgeber keine Sozialauswahl vorgenommen hat, steht noch nicht fest, dass sie fehlerhaft ist. In diesem Fall besteht lediglich eine Vermutung, dass die Auswahl sozialwidrig ist. Der Arbeitgeber oder sein Anwalt kann die Vermutung ausräumen, indem er im Arbeitsrechtsprozess darlegt, dass er dennoch im Ergebnis soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt hat (BAG 17.01.2002 Az. 2 AZR 15/01).

6. Darlegungs- und Beweislast

Der Arbeitnehmer bzw. sein Rechtsanwalt hat im Arbeitsrechtsstreit darzulegen und zu beweisen, dass die Sozialauswahl fehlerhaft ist. Hierzu hat der Arbeitnehmer die Personen zu benennen, die an seiner Stelle hätten gekündigt werden müssen. Ist er hierzu nicht in der Lage, kann er von seinem Auskunftsanspruch Gebrauch machen und den Arbeitgeber auffordern die Gründe zu benennen, die ihn zu der Sozialauswahl veranlasst haben (§ 1 Abs. 3 S. 1 KschG). Kommt der Arbeitgeber seiner materiellen Auskunftspflicht nach, hat der Arbeitnehmer wieder die volle Darlegungs- und Beweislast für die fehlerhafte Sozialauswahl. Kommt er dagegen seiner Auskunftspflicht nicht nach ist der Vortrag des Arbeitnehmers, es seien sozial stärkere Arbeitnehmer vorhanden, ausreichend (BAG 19.12.2013 Az. 6 AZR 790/12). Es ist dann als unstreitig anzusehen, dass der Arbeitgeber soziale Gesichtspunkte nicht ausreichend beachtet hat (BAG 03.04.2008 Az. 2 AZR 879/06).

B) Interessenausgleich mit Namensliste

Bei einer Betriebsänderung ist es möglich, zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat einen Interessenausgleich abzuschließen (§ 111 BetrVG). Die betriebsbedingt zu kündigenden Arbeitnehmer sind in einem Interessenausgleich mit Namensliste zu benennen. Es wird dann vermutet, dass die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen erfolgt ist (§ 1 Abs. 5 KSchG). Die Sozialauswahl kann nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Regelung ist nur auf ordentliche Kündigungen anwendbar.

1. Betriebsänderung

Eine Betriebsänderung gem. § 111 BetrVG liegt z.B. bei einer Stillegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen, einer Betriebsverlegung oder einem Betriebszusammenschluss oder bei einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation und der Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren vor.

2. Interessenausgleich

Der Interessenvergleich muss wirksam vereinbart werden. Dazu ist der Interessenausgleich schriftlich abzuschließen und durch Betriebsrat und Arbeitgeber zu unterzeichnen (§ 112 Abs. 1 BetrVG). Die Wirkungen des § 1 Abs. 5 KSchG treten nur ein, wenn die der Kündigung zugrunde liegende Betriebsänderung vollumfänglich Gegenstand einer Verständigung der Betriebsparteien ist (§ 111 Satz 1, § 112 BetrVG). Ein Interessenausgleich nur über Teile der Betriebsänderung reicht nicht aus (BAG 17.03.2016 Az. 2 AZR 182/15).

a) Schriftform

Die Schriftform von Interessenausgleich und Namensliste ist nur eingehalten, wenn beide Urkunden unterschrieben werden und von Anfang an fest miteinander verbunden sind (BAG 19.07.2012 Az. 2 AZR 386/11). Ausreichend ist es, wenn eine Verbindung dadurch hergestellt wird, dass beide Urkunden wechselseitig aufeinander Bezug nehmen. Das ist nicht gewährleistet, wenn ein Interessenausgleich auf eine noch zu erstellende Namensliste verweist (BAG 12.05.2010 Az. 2 AZR 551/08). Besteht die Urkunde aus mehreren Blättern, ist es für eine Verbindung der Urkunde ausreichend, wenn sich die Einheit aus einer fortlaufenden Nummerierung der Seiten o.ä. ergibt.

b) Namensliste

Die betriebsbedingt zu kündigenden Arbeitnehmer müssen namentlich im Interessenausgleich bezeichnet werden. Die Angabe nur des Arbeitsplatzes oder einer Funktionsbezeichnung ist nicht ausreichend. Die Namensliste darf nur die Namen enthalten, denen aufgrund der Betriebsänderung zu kündigen ist (BAG 26.03.2009 Az. 2 AZR 296/07).

3. Vermutungswirkungen

Liegt ein wirksamer Interessenausgleich mit Namensliste aufgrund einer Betriebsänderung vor wird vermutet, dass die Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen erfolgt ist und die Sozialauswahl richtig ist. Die Vermutungswirkung führt dazu, dass beide Voraussetzungen der betriebsbedingten Kündigung nur noch auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

a) Vermutung der Betriebsbedingtheit

Es wird demgemäß vermutet, dass der Beschäftigungsbedarf weggefallen ist und eine Weiterbeschäftigung nicht möglich ist. Gegen die Vermutung des § 1 Abs. 5 Satz 1 KSchG ist nur der Beweis des Gegenteils zulässig (§ 292 ZPO). Der Arbeitnehmer muss deshalb im Arbeitsrechtsstreit darlegen und im Bestreitensfall beweisen, weshalb sein Arbeitsplatz trotz der Betriebsänderung noch vorhanden ist oder wo sonst im Betrieb oder Unternehmen er weiterbeschäftigt werden kann. Dabei muss er seine Kenntnismöglichkeiten ausschöpfen (BAG 27.09.2012 Az. 2 AZR 516/11). Der Beweis des Gegenteils ist z.B. erbracht, wenn feststeht, dass der Arbeitnehmer durch andere Arbeitnehmer oder durch einen Leiharbeitnehmer ersetzt wird. Das ist auch der Fall, wenn andere Arbeitnehmer seine Tätigkeit durch überobligatorische Arbeit (Überstunden) miterledigen (BAG 12.03.2009 Az. 2 AZR 418/07).
Der Arbeitgeber hat dagegen zu beweisen, dass eine Betriebsänderung vorlag und der Arbeitnehmer ordnungsgemäß im Interessenausgleich benannt ist.

b) Vermutung der Richtigkeit der Sozialauswahl

Die Vermutung, dass die Sozialauswahl richtig ist, ersteckt sich auf die Sozialauswahldaten und deren Gewichtung. Auch die Bildung von Altersgruppen und die Herausnahme von Leistungsträgern aus der Sozialauswahl, wird nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft (BAG 15.12.2011 Az. 2 AZR 42/10). Grob fehlerhaft ist die soziale Auswahl, wenn bei der Sozialauswahl die Austauschbarkeit der Arbeitnehmer verkannt wurde (BAG 20.09.2006 Az. 6 AZR 249/05). Auch wenn die Verpflichtung zur Gewährung von Familienunterhalt nicht berücksichtigt wird, ist die Sozialauswahl grob fehlerhaft (BAG 28.06.2012 Az. 6 AZR 682/10).

Auch wenn die Sozialauswahl mangelhaft ist, kann sie zu einem richtigen Ergebnis führen, wenn auch die richtige Auswahlentscheidung dazu geführt hätte, dass dem Arbeitnehmer gekündigt worden wäre (BAG 10.06.2010 Az. 2 AZR 420/09).
Auch bei einem Interessenausgleich mit Namensliste hat der Arbeitnehmer einen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber, welche Gründe zu der Sozialauswahl geführt haben (§ 1 Abs. 3 S. 1 KSchG). Erst nach Erfüllung des Auskunftsanspruchs hat der Arbeitnehmer die volle Darlegungslast für die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Kommt der Arbeitgeber der Auskunftspflicht nicht nach, ist die Kündigung unwirksam (BAG 22.01.2004 Az. 2 AZR 111/02).

4. Wesentliche Änderung

Die Vermutungswirkungen der Betriebsbedingtheit der Kündigung und der Richtigkeit der Sozialauswahl treten nicht ein, wenn sich die Sachlage nach dem Zustandekommen des Interessenausgleichs und zum Zeitpunkt der Kündigung wesentlich geändert hat (§ 1 Abs. 5 S. 3 KSchG). Das ist der Fall, wenn die Betriebsparteien den Interessenausgleich bei Kenntnis der Änderung nicht oder nicht mit dem Inhalt geschlossen hätten. Davon ist auszugehen, wenn sich nachträglich ergibt, dass keine Betriebsänderung durchgeführt wird oder die Anzahl der Kündigenden wesentlich verringert wird (BAG 28.06.2012 Az. 6 AZR 780/10).